Von Uyuni aus gings nach Potosi, das dank seiner Minen einst zu den reichsten Staedten Suedamerikas gehoerte. Man sagt, die Strassen waren mit Silber gepflastert – tja, diese Zeiten sind vorbei! Immer noch eine wunderschoene Stadt mit beeindruckenden Kolonialkirchen, aber die Armut der Menschen ist laesst sich nicht hinter den bunten Fassaden verstecken. Die Hauptattraktion hier sind die Touren in die Silber- und Erzminen, und das ist wirklich etwas, was ich nie nie vergessen werde! Die Minenarbeiter haben ihre eigenen Religionen und und Gesetze. In Bolivien sind quasi alle katholisch, aber unter der Erde wird dem Tio, dem Teufel gehuldigt. Er beschuetzt die Arbeiter vor Erdrutschen und Unfaellen – wird er aber zornig, so bringt er ihnen den Tod. In jeder Mine gibts eine lebensgrosse Statue, der Alkohol, Coca-Blaetter, Zigarretten und einmal im Jahr ein Lama geopfert wird, um den Tio bei Laune zu halten. EIgentlich sind Frauen in den Minen verboten (bringen angeblich Unglueck – wie auf den Schiffen im 18 Jahrhundert), aber der Tourismus bringt Geld und Money makes the world go round. Also weg mit dem Aberglauben und her mit dem Guide, einem Ex-Minero, der uns durch die unteridischen Gaenge gefuehrt hat.
Bei “Tatatuk” und den Abendteuern der “Fuenf Freunde” klingt das immer ganz aufregend, Hoehlenwanderungen und so; ich fand das eher beangstigend. Bis auf unsere Stirnlampen war es stockdunkel und der Boden war sehr rutschig, da es dauernd nass und kalt von der Decke tropft. An manchen Stellen war der Gang so schmal, dass wir krabbeln, oder bergauf durch ein Loch auf die naechste Etage robben mussten.
Es ist unglaublich, absolut unglaublich, dass im 21. Jahrhundert bei all den technischen Errungenschaften immer noch unter solchen Umstaenden gearbeitet wird! Wir trafen eine Gruppe Mineros, die gerade Mittagspause hatte und uns vom Leben in der Mine erzaehlt hat. Von 12 Stunden Schichten unter der Erde, Unfaellen und Verschwundenen. Davon, dass die Lebenserwartung bei 55 Jahren liegt und viele ihre Kinder mitbringen, die helfen muessen, das Silber und Erz aus den Steinen zu klopfen. Dann kommen wir nach gerade mal fuenf Stunden eeendlich wieder ans Tageslicht und ich will nur duschen und das Gesicht in die Sonne halten. Sein ganzes Leben da unten zu verbringen, statt von Brot und Wasser nur von Cocablaettern und Alkohol leben? Unvorstellbar… Ach ja, bevor wir in die Mine gegangen sind, waren wir auf dem Mineromarkt, wo man Dynamit, Sprengstoff und fertige Sprengsaetze nachgeschmissen bekommt (im literarischen Sinne natuerlich…) Kann man alles fuer ein paar Bolivianos kaufen und sich dann in der Mine eine Explosion vorfuehren lassen– sowas von verboten! 🙂
Der Bus, der uns in die 3 Stunden entfernte Hauptstadt Boliviens gebracht hat, hat mehr einer Arche als einem Reisebus geaehnelt: Neben Menschen jeden Alters waren auch Hunde, Huehner und Laemmer vertreten – Dementsprechend waren auch Laerm und Geruch und alle waren froh, nach Holperstolperstrassen in Sucre anzukommen. “Die weisse Perle Boliviens” – so steht es im Reisefuehrer und ich hab mich sofort verliebt… In die weissen Kirchen und gruenen Plazas, die Haeusser mit den Balkoenchen und hoelzernen Tueren, die Maerkte, auf denen man saftige Fruechte und leckere Avocados, Gewuerze und Brot und Blumen und Unmengen an Fleisch kaufen kann – und in die Menschen dort.
Viele Frauen kommen aus den Doerfern der Umgebung, um ihre Handwerkssachen oder Lebensmittel in Sucre zu verkaufen, so sind die Strassen voll von “Postkarten-Bolivianern”: Lange, schwarze geflochtene Zoepfe bis zur Huefte, knielange Faltenroecke, Spitzenblusen, Schuerzen und Strohhuete. Ein Kind im Tuch auf dem Ruecken und zwei am Rockzipfel – und auf dem Gesicht einen zufriedenen Ausdruck!
Aus der geplanten einen Woche wurden zehn und selbst dann waere ich am liebsten noch geblieben. « Was machst du denn die ganze Zeit hier? », haben mich viele gefragt. « Ich lebe! », haette ich am liebsten geantwortet. Wenn man laenger irgendwo bleibt, kann man etwas anfangen und auch dranbleiben. So hab ich endlich einen Spanischkurs gemacht und bin zu einer Gastfamilie gezogen, die mich total herzlich aufgenommen hat.
Hab gelernt, Waesche ordentlich von Hand zu waschen, jeden Tag Fleischbruehe zu essen und die Kinder, die sechs, vierzehn und achtzehn Jahre alt sind, haben mir so so viel erzaehlt und mir Einblicke in ihre Kultur und ihr Leben gegeben, die ich als “Tourist-auf-der-Durchreise” nie bekommen haette. Schon das ganze Haus ist anders aufgebaut – um ein offenes Treppenhaus drumrum.
Wenn es regnet wird man nass auf dem Weg in die Kueche oder aufs Klo, und Isolation oder warmes Wasser gibt es nicht – dafuer aber ganz viel Familienleben und zusammen kochen!
Kurz vor Weihnachten bin ich dann in das Hostel “Wasimasi” (“Haus der Freunde”) zurueckgezogen, in dem ich am Anfang war. Die Familie hatte mich zwar eingeladen, Weihnachten mit ihnen zu sein, aber ich hatte (um ehrlich zu sein) Schiss, dass ich echt Heimweh nach meiner eigenen Familie und meinen Freunden bekomme, wenn hier alle mit ihren Lieben vereint sind. Im Hostel dagegen sassen wir alle im gleichen Boot: weit weg von daheim und ein bisschen wehmuetig weil man weiss “Weihnachten ist ein Familienfest, und alle sind gut drauf. Wir singen und lachen, schenken selbstgemachte Sachen – ich freu mich schon so sehr darauf.” (Ein Zitat aus einer der Kinderweihnachtskassetten, die bei uns daheim Schleife liefen ).
Aber es wurde wirklich ein Superfest! Wenig andaechtig, aber sehr lustig und froehlich. Mit Santa Claus, der etwas angeschwipst vorbeikam und in seinem Kostuem in der Sonne fast vergangen ist, wichteln und Truthahn; einer Weihnachtsplaylist – Last Chrismas, Jingle Bells und Let it Snow – haha – , einem Tannenbaum und Strassenkindern, die Essen und Geschenke bekommen haben und mit glaenzenden Augen Puppen und Autos in den Handen hielten.
Zwischen den Jahren habe ich angefangen morgens im Hostel zu arbeiten und konntedafuer gratis essen und schlafen -das war super fuer mein Spanisch…und fuer meinen Geldbeutel. Betten machen, Reservierungen annehmen, Stadtplaene erklaeren (und das mit meinem verkorksten Orientierungssinn!) und und und… Mittags hat uns Dona Nati, die dicke Bilderbuchkoechin mit der schrillen Stimme eine Riessenmahlzeit gekocht und es wurde voll um den Tisch, mit allen Mitarbeitern und ihren Kindern – eine grosse Familie und ich hab mich so wohl in dieser Runde gefuehlt. Mit Roxana, der Besitzerin und ihrem Sohn Tonio, Fabiola und Juan, die sich neben der Schule ein bisschen was verdienen und Abdel, der die Krise kriegt wenn man die Loeffel falschrum in den Besteckkasten legt…so viele Alltagserlebnisse!
Schon als ich bei der Familie gewohnt hab, bin ich jeden Nachmittag in ein Waisenhaus fuer Babys und Kleinkinder gegangen. Hier ist fuer so eine Freiwilligenarbeit viel weniger Buerokratie notwendig, bzw die wird enfach umgangen indem das alles unterm Tisch laeuft. Ich bin direkt zum Waisenhaus gegangen, hab geklingelt, erklaert, dass ich gerne mithelfen wuerde und die Schwester hat mich in einen
Raum gebracht, mir kurz alles gezeigt und sich bedankt. Das wars – da stand ich und zwei duzend Babies haben ihre Aermchen aus den Maxi Cosis gestreckt und gegluckst. Da muss einem einfach das Herz aufgehen! Da hab ich all das Kinderknuddeln nachgeholt; Flaeschchen gegeben, gewickelt, Lullabys gesungen, Miniwaesche gewaschen… So unglaublich suess die Knoepfe!!! Bolivianische Kinder sind einfach die allergoldigsten: grosse,
dunkle Teddyaugen und schwarzer, dichter Haarflaum und babyweiche, hellbraune Haut – und immer am grinsen und mit den Minihaenden fuchteln! Am Anfang ist man einfach nur hin und weg, aber je laenger man da ist und je mehr man sich mit den festen Mitarbeiterinnen unterhaelt, desto mehr erfaehrt man auch ueber die Kids, und das ist leider weniger schoen. Das ist einfach traurig und man fragt sich, warum manche Dinge passieren muessen. Und bei allem herzen und die Babys liebhaben, kann das doch keine Familie oder die Liebe von Eltern ersetzen – das Allerwichtigste auf der Welt! Trotzdem haben die Kids Glueck, dass sie hier gelandet sind: Sie bekommen gute (und genug) Nahrung, haben warme Kleider, Medikamente, alles ist sauber und es gibt sogar Spielsachen. Es arbeiten ausgebildete Erzieherinnen und Krankenschwestern hier und einmal die Woche kommt eine Physiotherapeutin und schaut sich die Krabbelentwicklung der Babies an.
Das ist nicht selbstverstaendlich fuer Bolivien. Woher das Geld dafuer kommt? Das bringen die Touristen mit, die innerhalb einer Sucre-Tour neben Kirchen, Plazas und Museen auch ein Waisenhaus besichtigen. Das hat mich echt angewidert – das ist doch kein Zoo! Da kommen dann alle mit dicken Kameras und knipsen und reichen die Kinder rum wie Trophaeen oder sowas. Nach ein paar Wochen kannte ich die Kinder und man hat einfach gemerkt, dass das denen ueberhaupt nicht guttut. Aber das ist halt der Preis fuer die gute Ausstattung und alles… Wir waren insgesamt vier Volunteers, und nach ein paar Wochen hat uns (Anna und mich) die Vorsteherin gefragt, ob wir in ein anderes Waisenhaus wechseln koennen, das dringend jemanden sucht.
Also hab ich den Babies Tschuess gesagt und die naechsten Wochen mit Kindern von sieben bis vierzehn verbracht – total tolle, starke Maedchen! Dort sah es schon ganz anders aus: Kalte, haessliche Raeume, abgewetzte Kleider und kaum Stifte, geschweige denn Spielsachen. Aber die 10 Maedels und zwei Erzieherinnen waren viel mehr eine grosse Familie – wie bei den Herdmanns haben die Grossen auf die Kleinen aufgepasst und alle sich gegenseitig geholfen. Meistens haben wir ein zwei Stunden gelernt, und dann mit
den Kids gespielt oder gebastelt. Anna hat den Groesseren ein bisschen Englisch beigebracht waehrend ich mit den Kleinen das ABC (das uebrigens anders ist in Spanisch) hoch und runtergeleiert hab; schreiben und lesen uebte 🙂 Total beeindruckend, wie lernbegierig und fleissig sie von sich aus sind! Die haben wirklich ein Ziel; lernen und was werden und eine echte Familie haben… Da kommt so ein Kind mit ernstem Gesicht von sich aus an, und will Rechenaufgaben gestellt bekommen – wo gibts denn das
noch? Zur Begruessung gabs dann schnell ein „hellooo, how are iuuu“ und zur Verabschiedung ein „Byebye see iuu tomorrow!“ und zwischendrin stundenlang „one, two, srii…“ sehr suess. Neben dem Lernen gab es aber auch immer einen Ausgleich – Voelkerball und Fangi spielen, zusammen kochen und backen, Filme anschauen und Puppen spielen. Wenn man denen beim Rennen und Lachen zuschaut, kann man sich kaum vorstellen, was viele der Maedels schon hinter sich haben. Aber
immer wieder bricht mal durch, was verdraengt oder weggeschoben wird und dann wird mir das Herz so schwer, das zu sehen, zu spueren… Da will man einfach nur was Gutes tun, irgendwie helfen. Mit Geldspenden ist das leider wie so oft nicht getan, weil die naemlich verschwinden oder versickern, und keiner weiss genau wo. Selbst Kleider gehen erstmal in den Lagerraum und keiner weiss, wann die da wieder rauskommen. Aber schoene Erlebnisse, die kann sich keiner unbefugt in die Tasche stecken und so haben wir die Maedels mitgenommen aufs Land, ins Schwimmbad. Fuer Ausfluege ist im Waisenhausbudget kein Geld uebrig, aber das konnten ja wir bezahlen und so was Gutes tun. Und es waren so schoene Stunden! Als wir um 7 Morgens kamen, sassen schon alle ganz aufgeregt da, mit ihren Rucksaeckchen und Hueten auf den Koepfen. Als Ueberraschung haben wir auf dem Secondhandmarkt allen Maedels Badeanzuege gekauft (hatten sie naemlich nicht. 10 Stueck fuer gerade mal 8 Euro…) und es war so schoen, zusammen im Wasser zu planschen und spritzen; zu spielen und sie ganz kindlich unbeschwert und gluecklich zu sehen!!
Ich bin so froh, dass ich hier sein konnte fuer ein paar Wochen. Reisen kann ganz schoen egoistisch sein – man will das Beste von einem Land sehen, erwartet die Gastfreundlichkeit der Menschen, erlebt deren Kultur und faehrt dann wieder nach Hause, ganz erfuellt davon, was das Land einem geboten hat. Aber fuer all das Schoene, was man bekommt – was gibt man denn zurueck? Sein Geld gibt man fuer sich aus – Essen, Schlafen, Transport – und was man kauft, soll schoen billig sein. Und leider wirkt sich Tourismus ja oft schlecht auf das Leben der Menschen aus. Ich habe Glueck, dass ich hier die Zeit und die Moeglichkeit hatte, den Spiess mal umzudrehen und was fuer Andere zu tun; den Fokus auf das Wohl der Menschen hier zu richten. Und diese Wochen gehoeren zu den schoensten und lehrreichster meiner Reise! Man bekommt so viel zurueck…
Die letzten drei Wochen in Sucre habe ich nicht im Hostel, sondern bei meiner Freundin Gavi gewohnt. Sie war am Anfang Kelseys, Annas und meine Spanischlehrerin und ist einfach ein tolles Persoenchen! Ich hab mich richtig gross gefuehlt neben ihr – sie ist einen ganzen Kopf kleiner als ich, aber das macht sie mit ihrem riessen Froehlichkeit wieder wett! WIr haben uns supergut verstanden und schnell angefangen zusammen abends wegzugehen, uebers Wochenende aufs Land zu fahren und zu kochen… Als sie uns eingeladen hat, bei ihr zu wohnen, haben wir keine Sekunde lang gezoegert und auch das war einfach eine wunderschoene Zeit!
Vier Nationen unter einem Dach; tratschen und chic-flics und backen und ganz viel Kulturaustausch. In einem Viertel weit weg von jedem Hostel waren wir wirklich die einzigen Gringos weit und breit, und dank des „offenen-Tueren-Wohnsystems“ schnell in der Nachbarschaft bekannt 🙂 Jeden Tag kamen irgendwelche Verwandten uns in Gavis winzigem Haeuschen besuchen und ich hab mich wirklich „adoptiert“ gefuehlt!
Unser Kleeblatt hat sich leider leider schon bald zerpflueckt. Anna und Kelsey sind nach ein paar Tagen Richtung Rio de Janeiro gefahren – der erste grosse traenenreiche Abschied – und auch mir blieb nur noch eine Woche, bevor ich wegen meines Visums ueber La Paz ausreisen musste. Inzwischen war Anfang Februar und der Karneval wurde in Sucre (schon Wochen vorher) eingelaeutet:
Mit Musikkapellen, die die Strassen zu jeder Tages und Nachtzeit laut troetend langmarschieren, Kindern, die aus Fenstern und von Daechern Wasserbomben werfen und Jugendliche, die aus Busfenstern mit Wasserpistolen spritzen! Die letzten Tage habe ich dreimal (!!) am Tag trockene Kleider angezogen und alles, was nicht nass werden darf, grundsaetzlich nicht mitgenommen. Meistens war das ein lustiges Spiel, und ein- zwei Wasserbomben tun ja auch keinem weh, aber als mich ein echter Witzbold mitten in der Stadt aus dem Fenster mit einer Badewannenfuellung uebergossen hat, konnte ich nur noch aus Verzweiflung lachen!
Dann hiess es nach langem mal wieder Rucksackpacken und mich von all den liebgewonnenen, mir ans Herz gewachsenen Leuten verabschieden…
Da stand ich in voller Montur nach fast 3 Monaten rasten – On the road again!